Bedenke das Ende: Das Tor zu Verhandlungen als Ausweg aus dem Ukraine-Krieg muss offen bleiben.

(c) Thomas Sauer

Es ist jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, wie der Ukraine-Krieg zu einem tragfähigen Ende gebracht werden kann – allein durch Waffen – oder muss ein Verhandlungskanal offen bleiben? Diese Diskussion ist nicht nur in Deutschland eröffnet, sondern auch in den USA, wie ein Leitartikel des Redaktionsausschusses der New York Times (NYT) vom 19. Mai 2022 zeigt.

https://www.nytimes.com/2022/05/19/opinion/america-ukraine-war-support.html

Darin heißt es unter anderem: „Die Ukraine verdient Unterstützung gegen die unprovozierte Aggression Russlands, und die Vereinigten Staaten müssen ihre NATO-Verbündeten anführen, um Wladimir Putin zu zeigen, dass das atlantische Bündnis bereit und in der Lage ist, seinen revanchistischen Ambitionen zu widerstehen. Dieses Ziel kann sich nicht verschieben, aber letztlich liegt es nicht in Amerikas Interesse, sich in einen totalen Krieg mit Russland zu stürzen, auch wenn ein Verhandlungsfrieden der Ukraine einige harte Entscheidungen abverlangen könnte.“

Das ist ein klarer Hinweis der New York Times darauf, dass die Ukraine eben nicht allein über das Ende des Krieges bestimmen kann, sondern diejenigen Länder, die ihr Waffen liefern, ein Wort bei den Kriegszielen mitreden werden.

Die NYT weist darauf hin, dass die Unterstützer der Ukraine auch auf den Kriegsverauf reagieren müssen: „Und die Ziele und die Strategie der USA in diesem Krieg sind schwieriger zu erkennen, da sich die Parameter der Mission geändert zu haben scheinen. Versuchen die Vereinigten Staaten beispielsweise, zur Beendigung dieses Konflikts beizutragen, und zwar durch eine Regelung, die eine souveräne Ukraine und eine Art von Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland ermöglicht? Oder versuchen die Vereinigten Staaten jetzt, Russland dauerhaft zu schwächen? Hat sich das Ziel der Regierung darauf verlagert, Wladimir Putin zu destabilisieren oder ihn zu stürzen? Beabsichtigen die Vereinigten Staaten, Wladimir Putin als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen? Oder besteht das Ziel darin, einen größeren Krieg zu vermeiden – und wenn ja, wie lässt sich dieses Ziel mit der Behauptung erreichen, die USA hätten Geheimdienstinformationen geliefert, um Russen zu töten und eines ihrer Schiffe zu versenken? Ohne Klarheit über diese Fragen riskiert das Weiße Haus nicht nur, das Interesse der Amerikaner an der Unterstützung der Ukrainer zu verlieren, die nach wie vor unter dem Verlust von Menschenleben und Existenzen leiden, sondern gefährdet auch den langfristigen Frieden und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent.“

Nicht nur in den USA auch in anderen NATO-Ländern wie Deutschland müssen solche Fragen gestellt und beantwortet werden, wie: Ist die dauerhafte Schwächung und Isolation Russlands tatsächlich eine Perspektive, die Frieden und Sicherheit in Europa langfristig sichert? Welche Erfahrungen, z.B. im Irak und Lybien, deuten darauf hin, dass nach einem gestürzten Präsidenten Putin Russland ein zuzverlässigerer Verhandlungspartner folgen wird? Müssen die Unterstützer der Ukraine neben der Liefererung von Waffen nicht alles tun, um einen Verhandlungskanal mit der Russländischen Föderation offen zu halten?

Aber die NYT geht noch weiter: „Ein entscheidender militärischer Sieg der Ukraine über Russland, bei dem die Ukraine das gesamte Gebiet, das Russland seit 2014 erobert hat, zurückerobert, ist kein realistisches Ziel. Obwohl Russlands Planung und Kampfhandlungen überraschend schlampig waren, bleibt Russland zu stark, und Putin hat zu viel persönliches Prestige in die Invasion investiert, um einen Rückzieher zu machen. Die Vereinigten Staaten und die NATO sind militärisch und wirtschaftlich bereits stark involviert. Unrealistische Erwartungen könnten sie immer tiefer in einen kostspieligen, langwierigen Krieg hineinziehen. Russland, so angeschlagen und ungeschickt es auch sein mag, ist immer noch in der Lage, der Ukraine unermessliche Zerstörungen zuzufügen, und es ist immer noch eine nukleare Supermacht mit einem verärgerten, unbeständigen Despoten, der wenig Neigung zu einer Verhandlungslösung gezeigt hat.“

Das gilt es zu bedenken. Sage niemand, er/sie habe es nicht gewusst.

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Russland: Zurück in die technologische Vergangenheit?

Ein relevantes ökonomisches Thema wird von Branko Milanovic aufgeworfen: Wie schafft Russland eine technologisch rückwärts gewandte Importsubstitution – als Folge seiner wirtschaftlichen Isolation?

Importsubstitution war seit Alexander Hamilton und Friedrich List immer wieder für die nachholende Entwicklung von Volkswirtschaften eingesetztes Instrument: Hohe Zollschranken sollen ermöglichen, Güter, die bislang importiert werden, nunmehr im eigenen Lande zu produzieren. Diese Politik wurde von Ländern wie der USA, Deutschland, Japan und Russland angewandt, um ihren technologischen Rückstand gegenüber den führenden Industrienationen aufzuholen.

Für Russland stellt sich aus Sicht von Milanovic das Problem völlig anders dar: Es konnte in den letzten 30 Jahren viele Technologieprodukte importieren, die es in der Sowjetunion zuvor nicht gab, vor allem im Tausch für fossile Brennstoffe, andere Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte.


Milanovic stellt hier die These auf, dass Russland infolge eines umfassenden Embargos versuchen wird, die alten sowjetischen Technologien zu reaktivieren, um autark wirtschaften zu können.

Als Beispiel führt er den Plan des russischen Verkehrsministeriums an, die Produktion russischer Verkehrsflugzeuge von 18 Stück im Jahr 2022 auf knapp 200 Stück im Jahr 2030 hochzufahren – weil befürchtet wird, in Zukunft keine Ersatzteile mehr für die in Betrieb befindlichen Flugzeugflotte ausländischer Produktion zu bekommen, geschweige den neue Flugzeuge von Airbus und Boeing. Für diese rückwärtsgewandte Technologieentwicklung seien die russischen Ingenieure heute aber eher überqualifiziert, da seit 1990 in den Sektor der Informationstechnologien abwanderten – und nun im Luft- und Raumfahrtsektor fehlen.

Kommentar

  1. Branko Milanovic entwirft hier ein Szenario, das für die Russische Föderation durchaus bedeutsam werden könnte, wenn die westliche Unterstützerallianz der ukrainischen Regierung ihre Drohung mit einem mittel- oder langfristigen Totalembargo der russischen Wirtschaft ernst machen würde.
  2. Dieses Szenario erinnert an den Morgenthau-Plan, mit dem das besiegte Hitler-Deutschland in einen Agrarstaat zurück verwandelt worden wäre, um keine militärische Bedrohung mehr für seine europäischen Nachbarn darzustellen.
  3. Bekanntlich wurde der Morgenthau-Plan und die damit verbundenen umfassende Demontage der modernen Industrieanlagen in den Westsektoren nicht realisiert, sondern Westdeutschland zügig in den Weltmarkt integriert.
  4. Dieser Vergleich gibt zu denken, ob eine mittelfristige wirtschaftliche Isolation Russlands nach dem Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wirklich die sinnvollste Option wäre. Nordkorea kann als Beispiel dafür gelten, dass auch ein Land mit nur mittelmäßigen Technologien eine ernsthafte Bedrohung für seine Nachbarn darstellen kann.
  5. Daher sind neben einem Morgenthau-Plan 2.0 durchaus andere Optionen, vor allem in Richtung auf die wirtschaftliche Re-Integration Russlands in die Weltwirtschaft nach dem Kriegsende auf klimaneutraler Grundlage zu erwägen.

Milanovic, Branko. 2022. „Ein noch nie dagewesenes Experiment.“ Makronom, 2. Mai 2022. https://makronom.de/ein-noch-nie-dagewesenes-experiment-41730.


Milanovic, Branko. 2022. „The novelty of technologically regressive import substitution.“
https://glineq.blogspot.com/2022/04/the-novelty-of-technologically.html.

Abdullina, Ajgul‘. 2022. „Стадия окрыления – Минтранс разработал стратегию авиаотрасли до 2030 года – Газета «Коммерсантъ» – Коммерсантъ: последние новости России и мира.“ Kommersant‘, 28. April 2022. https://www.kommersant.ru/doc/5329222.

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Ekaterina Schulmann: „Das Stichwort Geopolitik ist so eine besonders infektiöse Ketzerei.“

„Das Stichwort Geopolitik ist so eine besonders infektiöse Ketzerei. Sie ist nichts anderes als die Verherrlichung der Geografie auf Kosten der Geschichte. Sie besagt, dass die geografische Lage eines Landes sein unabänderliches Schicksal sei. Russland also ist ein großes Land voller Ressourcen, um die es jeder beneidet. Es kann keine Demokratie sein, weil es so groß und kalt ist. Wenn ich diese These höre, frage ich immer: Und was ist mit Kanada?“

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/was-haben-wir-uebersehen-russische-politologin-ekaterina-schulmann-im-interview

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Ist der Kapitalismus jetzt wirklich am Ende? | Thüringer Allgemeine

Hier ein kleines Interview mit mir in der Thüringer Allgemeinen zum „Memorandum besorgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, das mit einiger Verzögerung heute erschien: http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/suche/detail/-/specific/Ist-der-Kapitalismus-jetzt-wirklich-am-Ende-393924319. Das Memorandum findet Ihr hier: http://www.mem-wirtschaftsethik.de/memorandum-2012/das-memorandum/

Ist der Kapitalismus jetzt wirklich am Ende? | Thüringer Allgemeine.

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Die Rolle der Gemeingüter in den Städten: Die kontextuelle Ökonomie der Postwachstumsgesellschaft

Das Thema der Rolle der Gemeingüter in den Städten ist besonders geeignet, die Grundlagen einer kontextuellen Ökonomie der Postwachstumsgesellschaft zu veranschaulichen, die zu einem Paradigmenwechsel in der Entwicklung der modernen Wirtschaftswissenschaft führen könnte. Dabei geht es um drei Fragen: Was kommt nach dem Wachstum? Welche Ökonomie benötigt die Postwachstums-Gesellschaft? Warum gehören Gemeingüter in die Städte?

Gegenblende | Ausgabe 16: Juli/August 2012 | Die Rolle der Gemeingüter in den Städten.

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Thomas Sauer (Hg.): Die Zukunft der Europäischen Währungsunion

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise der Europäischen Währungsunion mangelt es an konstruktiver Kritik. Dabei wird verkannt, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion von Anfang an ein umkämpftes Projekt war, welches verschiedene politische Gestaltungsoptionen offenlässt. Aktive Einmischung ist also erforderlich, auch von wissenschaftlicher Seite. Dem dient dieses Buch. Arne Heise untersucht in seinem Beitrag die Entwicklung des EU-Governance-Systems vor dem Hintergrund der Weltfinanzkrise. Karlheinz Ruckriegel konzentriert sich in seiner Untersuchung auf das geldpolitische Gegenstück der EU-Governance-Reformen, das Verhalten der EZB während der Finanzkrise, die für ihn die Eurokrise mit einschließt. Heike Joebges und Camille Logeay analysieren in ihrem Beitrag Deutschlands Anteil an Stabilitätsproblemen im Euroraum. Steffen Lehndorff geht in seinem Beitrag auf die tieferen Ursachen für die politisch-ökonomische Dominanz Deutschlands in der europäischen Krise ein und zeigt die Risiken auf, die damit für das europäische Projekt verbunden sind. Die Auswirkungen, die die Einführung des Euros und seine aktuelle Krise auf die schweizerische Wirtschaft und die schweizerische Geldpolitik hatten und aktuell haben, werden von Armin Jans untersucht. In seinem Beitrag fordert Stefan Ederer schließlich umfassende Lösung für die Krise in der Europäischen Währungsunion.

http://www.metropolis-verlag.de/buchbeigaben/926/926_einleitung.pdf

http://www.metropolis-verlag.de/buchbeigaben/926/926_inhalt.pdf

Thomas Sauer (Hg.): Die Zukunft der Europäischen Währungsunion.

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